Goslar – Seit 1976 besteht in Deutschland für Motorradfahrer die Helmpflicht. Denn der Motorradhelm gilt als der wichtigste Schutz für Biker bei einem Unfall. Immerhin reduziert die schützende Kopfbedeckung die Gefahr, bei einem Verkehrsunfall ums Leben zu kommen, um rund 40 Prozent, wie Unfallforscher betonen. Und die Wahrscheinlichkeit, im Falle eines Crashs ein Schädel-Hirn-Trauma zu erleiden, sinkt demnach mit Helm um rund 70 Prozent. Deshalb schreibt der Gesetzgeber Motorradfahrern das Tragen eines „geeigneten Helms“ vor. Angesichts der sehr hohen Bedeutung eines Helms für die Sicherheit von Bikern, erscheint es geradezu verwunderlich, dass Motorradfahrer, die ohne Helm erwischt werden, lediglich ein Bußgeld in Höhe von 15 Euro befürchten müssen.
Doch was ist tatsächlich ein „geeigneter Helm“? Es gibt Biker, die auf der Straße geradezu weltmeisterlich unterwegs sind oder ihr Zweirad „mit verbundenen Augen auseinander- und wieder zusammenbauen“ können, jedoch auf die Frage nach dem besten Helm keine passende Antwort haben. Auf der sicheren Seite bei der Auswahl des geeigneten Motorradhelms durfte man sich bislang fühlen, wenn die Kopfbedeckung die seit fast 20 Jahren geltende Sicherheits-Norm ECE 22.05 erfüllte. Diese Norm definiert Standards für Schutzhelme, die unter anderem bei der Nutzung von Motorrädern, Mofas und Rollern vorgeschrieben sind. Dabei steht das Kürzel ECE für „Economic Commission for Europe“, das ist die Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen, und bezeichnet eine europäische Verordnung für die Produktion von Motorradhelmen: Als sicher gelten demnach nur Helme, die nach der Verordnung ECE 22.05 hergestellt werden. Ein entsprechendes Prüfzeichen muss auf dem Produkt angebracht sein.
Nach den Vorgaben der Norm ECE 22.05 werden unter anderem folgende Sicherheits-Kriterien überprüft:
– die Stoßdämpfung an verschiedenen Stellen des Helms,
– die Haltbarkeit der Außenschale (bzw. der chemischen Bestandteile),
– Vorgaben zur Größe des Sichtfelds sowie zur Tönung vom Visier sowie
– die Belastbarkeit des Kinnriemens und seines Verschlusses.
Ab Juni 2022 tritt nun die neue Norm ECE-R 22.6 mit strengeren Prüfvorgaben für Motorradhelme an die Stelle der alten ECE-R 22.05. Damit wird das Prüfprogramm für Motorradhelme um fast ein Drittel erweitert, wie der TÜV Rheinland erläutert. Künftig müssen Helme somit neue und zudem mehr Tests als bisher bestehen, um in der EU auf den Markt kommen zu dürfen. So nehmen die Prüfingenieure nach der neuen Norm unter anderem Aufpralltests in verschiedenen Varianten und mit drei verschiedenen Geschwindigkeiten zwischen rund 20 und 30 km/h vor. Nach der bisherigen Norm waren zudem fünf sogenannte Prüfpunkte am Helm vorgegeben, an denen die Belastbarkeit des Helms gemessen wurde. Dadurch hatten Hersteller grundsätzlich die Möglichkeit, ihre Helme just an diesen Stellen so vorzubereiten, dass sie die Tests bestehen. Nun können die Prüfer diese Punkte flexibler selbst auswählen.
Die neue Norm sieht ferner für Motorradhelme einen sogenannten Rotationstest vor, bei dem die Drehung des Kopfes bei einem möglichen Aufprall simuliert wird. Außerdem hat das Visier neuerdings dem Beschuss mit einer Stahlkugel mit 60 Meter pro Sekunde standzuhalten – das entspricht einer Geschwindigkeit von umgerechnet 216 km/h. Darüber hinaus sieht ECE-R 22.6 zusätzliche Checks des Kinnriemens, des Helmverschlusses und verschiedene Abstreiftests vor.
Eine weitere wichtige Neuerung der neuen Norm beinhaltet Tests der Materialien des Helms bei Temperaturen zwischen minus 10 bis plus 50 Grad Celsius. Solch extreme Prüfungen sollen Aufschluss darüber geben, wie die verschiedenen Materialien unterschiedlich auf Umwelteinflüsse reagieren. Die bisherige Norm ECE-R 22.5 schrieb sogar Tests bei minus 20 Grad Celsius vor, doch die werden nun nicht mehr als erforderlich angesehen. Das eröffnet Herstellern neue Möglichkeiten bei der Materialwahl. Für neu entwickelte Helme, die ab Juni 2022 auf den Markt kommen, gilt nun, dass sie die Vorgaben der Norm ECE-R 22.6 zu erfüllen haben. Von Juni kommenden Jahres an ist dann die Produktion von Helmen nach bisheriger Norm ECE-R 22.5 verboten. Ab Jahresanfang 2024 dürfen solche Motorradhelme auch nicht mehr verkauft werden.
Doch keine Sorge: Biker müssen sich nun keinen neuen Helm kaufen, der der neuen Norm entspricht. Vielmehr sind Schutzhelme nach der Norm ECE-R 22.5 weiterhin zugelassen und entsprechen den Vorschriften. Denn sie sind unverändert sicher, wie der TÜV Rheinland versichert. Allerdings können die Neuerungen der künftigen Norm ECE-R 22.6 demnach im Ernstfall ein Plus an Sicherheit bedeuten. – Recherche-Tipp im Goslar Institut