Neuburg – Ganz knapp haben sich die Ingolstädter in einem Bürgerentscheid dagegen entschieden, eine Schule mitten in den Grünring bauen zu lassen. Das erzeugte in mir ein leichtes Gefühl der Genugtuung, weil ein Stück Landschaft mal nicht angetastet wird, entgegen der Überzeugungskampagne der örtlichen Politik.
An Wäldern, Feuchtgebieten und anderen Landschaften bedienen wir Menschen uns ja immer wieder, wenn es darum geht, irgendetwas Menschengemachtes zu fördern oder auszubauen. Dann schwingen Politiker von konservativ über liberal bis hin zu sozialdemokratisch Reden mit pragmatischen Argumenten wie Arbeitsplätzen, verbesserter Infrastruktur oder eben Bildung, wie im Fall der Ingolstädter Schule.
Es ist, als werde die Natur als etwas Romantisches, Schönes begriffen, das ja ganz nett sei – aber wenn etwas wirklich Wichtiges kommen muss, etwas Systemrelevantes, das menschengemachten Prinzipien wie der Wirtschaft, der Bildung oder dem Verkehr nutzt, dann muss sie eben weichen.
So wie die Natur stört und verschwinden muss, wenn sie einem unserer wichtigen Projekte im Wege steht, so stört und nervt sie uns, wenn sie unsere Pläne und Konstruktionen einfach vollkommen durcheinanderbringt, ohne dass wir irgendetwas dagegen tun können. So wie vor einem Jahr im Ahrtal, als Straßen, Autos und Häuser einfach weggespült worden sind. Wir bezeichnen das als Naturkatastrophe, aber eine Katastrophe ist es nur für uns Menschen.
Der Psychologe und Sozialwissenschaftler Wilfried Nelles schrieb vor einigen Monaten im Onlinemagazin Multipolar, wir Menschen hätten völlig verdrängt, dass die Natur nicht nur um uns herum sei, sondern dass wir selbst Natur sind und nicht über ihr stehen.
Eine Stelle hat mich besonders demütig gemacht, und ich möchte sie gerne für Sie zitieren: „Ich rede davon, dass wir begreifen, dass alles, was wir schaffen, im Grunde nichts ist. Es kann uns jederzeit genommen werden, und es wird uns auch zu seiner Zeit – also zu einer Zeit und unter Umständen, die wir nicht bestimmen – genommen. Was immer wir tun, was immer wir aufbauen, wie immer wir uns schützen – es ist immer begrenzt, es ist nie von Dauer und nie absolut. Genau wie unser eigenes Leben. Es geht darum, von unserem hohen Ross zu steigen, unsere Winzigkeit zu sehen und im Bewusstsein dieser Winzigkeit zu leben, so lange es uns gegeben ist. Das wäre wirklich menschlich.“
Heißt das jetzt, dass der Autor, und da ich ihn zitiere auch ich, der Meinung sind, Menschen sollten in die Natur einfach gar nicht mehr eingreifen? Also keine Schulen bauen? Keine Verkehrsmittel und Straßen? Keine Inkubatoren für Frühgeborene und keine Krebstherapie? Nein, der Meinung bin ich nicht und ich denke, Herr Nelles auch nicht. Unsere menschlichen Fähigkeiten sind ebenfalls Teil der Natur. Sie beeindrucken mich und machen mich manchmal auch stolz, zumindest dort, wo wir sie nicht verwenden, um etwas zu zerstören.
Doch so sehr wir unser menschliches Dasein, unser Überleben als Teil der Natur, durch all unsere großartigen Errungenschaften vereinfachen und verbessern können, so sehr müssen wir eben auch demütig bleiben: Wir werden uns niemals von unserer Umwelt entkoppeln, sie lenken und unserem Willen unterordnen können. Und egal wie viele Arbeitsplätze wir schaffen, wie viel Bildung und was für eine tolle Infrastruktur: Verschwinden die Wälder, Feuchtgebiete und andere Landschaften, dann verschwinden auch wir. Denn diese Elemente sind nun einmal unsere Lebensgrundlagen. – Elsa Stöckerf, brennessel Magazin