Fr. Apr 19th, 2024

Masochismus in der Bayerisch-Tschechischen Landesausstellung?
Augsburg/Regensburg – Diese barocken Damenschuhe umgibt ein Rätsel. 1852 schenkte sie der Prager Stadthauptmann dem Böhmischen Landesmuseum. Dabei gab er glaubwürdig an, dass die Schuhe aus einer Krypta in Kralowitz bei Pilsen stammten. Die hier bestatteten Adeligen waren um 1600 verstorben. Die Schuhe sind aber 100 Jahre jünger. Die einzige Erklärung dafür ist, dass man die Toten um 1700 neu einkleidete. Kein Wunder, dass die Schuhe heute wie ungetragen aussehen. Aber warum wurden sie wieder abgenommen und dem Prager Stadthauptmann übergeben?

Verbirgt sich dahinter altes Brauchtum, das heute einfach makaber erscheint? Oder versteckt sich hinter der Prozedur doch eine perverse Neigung? Aufhorchen lässt der vollständige Name des Stadthauptmanns: Leopold Ritter von Sacher-Masoch. Sein gleichnamiger Sohn avancierte zu einem international bekannten Schriftsteller. Viktor Hugo und Émile Zola zollten ihm ihre Anerkennung. Sacher-Masochs Ehefrau zufolge soll König Ludwig II. zu dem Autor sogar eine Seelenverwandtschaft empfunden haben. Bis heute ist Sacher-Masoch bekannt durch seine Schilderungen triebhafter Schmerz- und Unterwerfungsphantasien. Von seinem Namen abgeleitet wurde der Begriff „Masochismus“ für eine sexuelle Präferenz. Deswegen steht Sacher-Masoch bis heute im Zwielicht.

Sollte die Schuhaneignung einen Hinweis geben auf einen in der Familie liegenden gewissen Hang zu Perversionen? Eher nicht! Der Vater steht als Sammler und Förderer des Tschechischen Nationalmuseums in tadellosem Ruf. Sacher-Masoch der Jüngere erfuhr durch das „Sacher-Masoch-Festival“ in Graz 2003 eine späte Aufwertung. Der Masochismus wird auch nicht mehr als psychische Störung, sondern als sexuelle Präferenz gedeutet. Heute kann man sich Masochismus sogar ganz öffentlich schmecken lassen: Die Sacher-Masoch-Torte, exotisch nur durch Ribiselmarmelade und Marzipan.

Die Schuhe sind ab 10. Mai 2023 in der Bayerisch-Tschechischen Landesausstellung im Haus der Bayerischen Geschichte zu sehen. –
Dr. Andrea Rüth, Haus der Bayerischen Geschichte

 

Damenschuhe, Mitteleuropa, 1. Hälfte 18. Jahrhundert; Leder, Seide, Metall. Praha, Národní muzeum | Foto: Národní muzeum, Olga Tlapáková, Alžběta Kumstátová

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