Fr. Mrz 29th, 2024

Drei Viertel sorgen sich vor erneuten Kontaktbeschränkungen, zwei Drittel demotiviert – KKH fordert krisenfeste psychologische Hilfe

Ingolstadt – Sie befinden sich in einer entscheidenden Phase ihres Lebens, zwischen Schule und Beruf, zwischen Partnersuche und Familiengründung. Und dann auch noch Corona! Die Pandemie hat Studierende und Auszubildende besonders hart getroffen.

Laut einer forsa-Umfrage im Auftrag der KKH Kaufmännische Krankenkasse fühlen sich 40 Prozent von ihnen durch die Krise stark gestresst. Und auch im neuen Semester beziehungsweise Ausbildungsjahr ebbt diese Belastung nicht ab: Die große Mehrheit (74 Prozent) treibt mit Blick auf die kommenden Monate vor allem die Sorge vor erneuten Kontaktbeschränkungen um. 30 Prozent belastet dieses Szenario sogar schwer, denn davon hängen nicht nur Lernstrukturen in Ausbildung und Studium ab, sondern auch der Austausch mit Kommilitonen und Dozenten, das Knüpfen von Kontakten für den Berufseinstieg oder das Kennenlernen potenzieller Lebenspartner. Mit der Sorge vor erneuten Kontaktverboten geht deshalb auch die Furcht vor Einsamkeit einher: Das geben 44 Prozent der rund 1.000 Befragten an. 43 Prozent der Hochschüler und Lehrlinge haben zudem Bedenken, dass die Impfung gegen Covid-19 nicht ausreichend schützt, was im Falle einer Erkrankung zu einer Quarantäne und somit auch wieder zum Alleinsein führen würde.

Sorge vor Lerndefiziten, Bangen um berufliche Zukunft
Viele der 16- bis Ende 20-Jährigen belastet darüber hinaus die Unsicherheit bezüglich ihres Fortschritts in Ausbildung und Studium. Ein neues Studienfach oder ein Ausbildungswechsel, Praktika oder Projektarbeiten in Unternehmen, Vorstellungsgespräche bei späteren Arbeitgebern: Alles hängt wegen Corona in der Luft. So befürchten 65 Prozent der Befragten, dass sich auch in den kommenden Monaten wichtige Praktika und Auslandssemester schlecht planen lassen. Fast die Hälfte macht sich darüber hinaus Sorgen, Lernstoff nachholen zu müssen, sodass es zu einer Verzögerung von Ausbildung oder Studium kommt. Gut ein Drittel befürchtet zudem finanzielle Defizite, wenn der bisherige Nebenjob durch die Pandemie weiterhin wegfällt oder die Eltern wegen krisenbedingter beruflicher Probleme weniger zahlen können als bisher. Und über allem schwebt die Frage: Wann geht es normal weiter?

Der Verlust an Sicherheit und Planbarkeit sorgt besonders bei Studierenden für Stress, da deren Alltagsstrukturen weniger gefestigt sind als die von Schüler:innen und Berufstätigen. Die Krise bedroht diese Zielgruppe besonders, denn die Ausbildungs- und Studienzeit ist bereits ohne Corona von herausfordernden Veränderungen und Übergangsprozessen geprägt. Junge Menschen lösen sich gerade von zu Hause, müssen neue Netzwerke schaffen und sich auf ihre Karriere vorbereiten. „In dieser Lebensphase entwickelt sich auch das Gesundheits- und Risikoverhalten, das eng mit der Entwicklung einer psychischen Störung verbunden sein kann. Für uns als Krankenkasse ist es daher wichtig, auf die Auswirkungen größerer äußerer Einflüsse auf die Gesundheit aufmerksam zu machen“, erläutert Dr. Aileen Könitz, Ärztin und Expertin für psychiatrische Fragen bei der KKH.

Erschöpfung, depressive Verstimmungen & Co.
Und der Einfluss der Corona-Pandemie ist groß. Denn wie die Umfrage zeigt, hat der letzte Lockdown 42 Prozent der Studierenden und 36 Prozent der Auszubildenden psychisch stark belastet. So berichten knapp zwei Drittel der Berufsanwärter, dass sie während der Viruskrise bislang häufiger demotiviert waren. Rund jeder Zweite war darüber hinaus tagsüber häufiger müde oder erschöpft. Je fast 40 Prozent der Befragten wiesen zudem depressive Symptome auf oder waren schneller gereizt als üblich. Rund ein Viertel der Hochschüler und Lehrlinge berichtet außerdem von körperlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und Verspannungen sowie von Ein- oder Durchschlafproblemen. Ebenfalls rund jeder Vierte gibt darüber hinaus zu, während der Pandemie bislang ängstlicher gewesen zu sein.

„Wenn jemand psychisch gesund ist, herrscht ein Gleichgewicht zwischen Belastung und Ressourcen“, erläutert Aileen Könitz. Die Pandemie hat dieses Gleichgewicht bei vielen jungen Menschen ins Wanken gebracht. Einerseits sei die Belastung wegen unsicherer Zukunftsaussichten, bröckelnder Tagestrukturen, fehlenden Austauschs und somit auch fehlender sozialer Unterstützung sowie mangelnden Ausgleichs gestiegen. Andererseits seien die Bewältigungsressourcen geschrumpft. Die nach wie vor anhaltende Schwebesituation setzt vor allem denjenigen zu, die bereits vor der Krise unter psychischen Problemen gelitten haben. Umso erstaunlicher ist, dass fast die Hälfte der Auszubildenden und Studierenden auf eigene Strategien setzt, um solch hohe Belastungen zu bewältigen. Fast ein Drittel von ihnen sucht hingegen in einem solchen Fall Rat bei Freunden oder der Familie.

Professionelle Hilfe statt Selbsttherapie
Sowohl von einer Selbstbehandlung als auch vom Aussitzen stressbedingter Beschwerden (das würden 18 Prozent der Befragten tun), rät die KKH-Ärztin ab – vor allem wenn Symptome wie Niedergeschlagenheit und Erschöpfung länger anhalten oder stärker werden. Derartige Beschwerden würden im Zuge einer Selbstbehandlung häufig nur verdrängt, aber nicht bewältigt. Bei anhaltenden psychischen Problemen rät Aileen Könitz hingegen zu professioneller Hilfe: „Mit einer neutralen Person zu sprechen, die nicht zum familiären Umfeld oder zum Freundeskreis gehört, sich aber mit der Lebenssituation von Auszubildenden und Studierenden auskennt, kann sehr hilfreich sein.“ Hilfe zu bekommen war allerdings vor allem während der Lockdown-Phasen schwer. Psychologische Sprechstunden an Hochschulen, das Kontaktieren von Beratungsstellen sowie von anderen Betroffenen und Selbsthilfegruppen – alles nahezu unmöglich in dieser besonders kritischen Phase. Die KKH-Expertin fordert deshalb, dass sich das Gesundheitssystem bezüglich psychologischer und psychiatrischer Hilfsangebote in Krisen besser wappnet. „Es wird auch künftig Pandemien geben. Auch Studierende und Auszubildende brauchen dann eine verlässliche, niederschwellige, ambulante Unterstützung und in Krisen Experten, die rund um die Uhr für sie da sind.“ – Simone Riß, KKH Ingolstadt

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