Fr. Apr 19th, 2024

Neuburg – Im Jahr 1453 endete das Byzantinische Reich mit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen.
Als die feindlichen Truppen die Stadt bereits belagerten, so erzählt man sich in Historikerkreisen und darüber hinaus, hätten die Intellektuellen Konstantinopels leidenschaftlich über das Geschlecht von Engeln diskutiert.

Diese Prioritätensetzung wirkt auf den ersten Blick absurd, doch sind wir bei näherer Betrachtung wirklich so weit weg von den byzantinischen Intellektuellen?
Die öffentlichen Debatten der vergangenen Jahre kamen mir aufgebauscht und hysterisch vor. Erinnern Sie sich an die „Winnetou“-Debatte, oder als alle plötzlich über den Ballermann-Song „Leyla“ gesprochen haben, was zur Folge hatte, dass letztendlich sogar Kindergartenkinder ihn singen konnten? Wissen Sie noch, wie die ganze Medienwelt sich über den Impfstatus der Sportler Joshua Kimmich und Novak Đoković aufgeregt hat? Haben Sie sich vielleicht in der letzten Zeit selbst dabei erwischt, wie Sie Gespräche darüber führten, wie viele Geschlechter es gibt – zwei oder doch mehr -, ob man wirklich und zu 100 % sein Geschlecht wechseln kann oder ob „gendern“ in der Sprache gut oder schlecht ist? Sie sehen: Wir debattieren auch über Geschlechter, nur Engel interessieren uns nicht mehr so sehr. Uns belagern währenddessen keine Türken, dafür haben wir jede Menge innenpolitische Probleme, die bei all der Hysterie um Nichtigkeiten unterzugehen drohen.

Wir haben gerade eben eine gigantische Krankheitswelle hinter uns, die vor allem Kinder betroffen hat. Das hat die Kinderkliniken an und über den Rand der Belastungsgrenzen gebracht, und zwar in erster Linie deshalb, weil sich mit Kinderheilkunde wenig Geld verdienen lässt und die Kinderkliniken in den letzten Jahrzehnten kaputt gespart worden sind. Ein kurzer Zahlenvergleich: 1995 gab es fast 26.000 Krankenhausbetten für Kinder, 2020 nur noch 18.000. Das ist ein Rückgang um gut ein Drittel, und von diesen Betten können nicht mal alle genutzt werden, weil es nicht genug Pflegepersonal gibt. Dieses Problem meldete im Oktober auch das Deutsche Herzzentrum in München. Der Direktor der Klinik für Kinderkardiologie verkündete, man sei am „Rande einer Triage“ (Bericht vom BR, 31.10.2022), weil es nicht genug Intensivkrankenpfleger gäbe.

Wir wissen auch seit Jahren, dass die Schere zwischen arm und reich in Deutschland weit geöffnet ist. In vielen Branchen sind die Löhne schlecht, die Lebenshaltungskosten sind jedoch hoch und werden vor allem in der letzten Zeit noch höher. Um eine Familie ernähren zu können, müssen nicht selten beide Elternteile viel und lange arbeiten, was nicht nur für sie, sondern auch für ihre Kinder einen stressigen Alltag bedeutet. Die Zahlen an psychischen Erkrankungen sowohl bei Erwachsenen, als auch bei Kindern, ist erschreckend hoch. Wir haben uns an Wörter wie „Geringverdiener“ und „Aufstocker“ gewöhnt, als wäre es in Ordnung, dass Menschen, die arbeiten gehen, von ihrem Lohn kaum bis gar nicht leben können.

Und dann sind da noch all die noch globaleren Probleme, wie die Umweltzerstörung, der Machtmissbrauch von Regierungen, Geheimdiensten und Konzernen und all die Gefahren, die hinter digitalen Zukunftsplänen wie der „digitalen Identität“ stecken.

Ich glaube nicht, dass sich irgendeines unserer Probleme in nächster Zeit lösen wird. Dafür sind sie alle viel zu sehr Bestandteil eines komplexen, maroden Systems. Aber davon abzulenken bringt eben auch nichts. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein frohes, neues Jahr – diesmal hoffentlich zumindest ohne Pandemie- oder Kriegsausbruch und natürlich auch möglichst ohne private Katastrophen! – Elsa, brennessel Magazin

Kommentar verfassen