Neuburg – Am 13. Juni 2023 schrieb eine Autorin namens Lisa Kreuzmann in der Zeit: „Stillen, Familienbett, Kitaskepsis: Bindungsorientiertes Erziehen gilt als sanft und achtsam, ist aber auch westlich und elitär. Das spricht zunehmend Rechtsextreme an.“
Es ist absurd, ausgerechnet solche Dinge als „westlich“ und „elitär“ zu bezeichnen. Schließlich sind es nicht die Stammesfrauen im brasilianischen Urwald, die sich industrielle Babynahrung kaufen, anstatt zu stillen. Es sind nicht die afrikanischen Familien, wo die Babys ein eigenes Kinderzimmer mit Bettchen haben. Und es ist nicht die philippinische Gesellschaft, die ein breit aufgestelltes Kita-Netz schon für Kleinkinder hat. Wir im Westen sind es, die diese Dinge pflegen, die von den Bindungsorientierten kritisch gesehen werden.
Aber etwas anderes stört mich an dem Artikel noch viel mehr. Er treibt eine Entwicklung auf die Spitze, die seit Jahren zu beobachten ist: Dass Lebensweisen und Forderungen, die vollkommen harmlos bis zu stinknormal sind oder früher sogar als links-alternativ galten, in die rechtsradikale Ecke gestellt werden.
Wir hatten das zum Beispiel mit der Friedensdemo von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer im Februar. Die Medien hatten gekeift, die Frauen seien „rechtsoffen“. Aber wann war Frieden denn eigentlich ein Herzensanliegen der Nazis? Ganz im Gegenteil, es war doch Josef Goebbels, der die deutsche Bevölkerung mit Begeisterung in den „totalen Krieg“ gebrüllt hatte, und auch im und nach dem ersten Weltkrieg waren es immer die Rechten gewesen, die gegen den Frieden gewesen sind und sich die „Dolchstoßlegende“ von den Friedensbefürwortern als Vaterlandsverrätern ausgedacht hatten.
Genauso war Nähe und Bindung zum Kind niemals von den Nazis gewollt. Die berühmteste Nazi-Erziehungsratgeberin, Johanna Haarer, deren Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ damals sehr weit verbreitet war, war der schwarzen Pädagogik verpflichtet, und das bedeutet: Möglichst wenig Körperkontakt zum Säugling, der tags und nachts alleine in einem Zimmer sein sollte. Und natürlich sich nie dem Willen des Kindes beugen.
Wer sagt, er fände das traditionelle Familienbild mit Mutter, Vater, Kind schön und die Ansicht vertritt, es gäbe keine weiteren Geschlechter außer „männlich“ und „weiblich“, läuft heute schon Gefahr, in die rechte Ecke geschoben zu werden. Wer sagt, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei zu sehr politisch beeinflusst von den aktuellen Regierungsparteien, ist schnell ein rechtsextremer Demokratiefeind. Noch sicherer ist dir der Stempel „rechtsradikal“, wenn du zugibst, dass dir die Einwanderung allmählich zu viel wird oder dass du findest, Menschen sollten sich in Deutschland der Kultur des Landes anpassen. Fängst du dann aber noch an, die aktuelle Regierung Israels mit kritischem Blick zu sehen, so bist du endgültig ein tiefbrauner, judenhassender, den Holocaust verharmlosender Nazi.
Aber die Verbrechen der Nazis, die werden meiner Meinung nach nicht durch Israelkritik verharmlost, sondern dadurch, dass man plötzlich Rechtsextremismus an allen Ecken und Enden verortet. Ein Nazi war Amon Göth. Der KZ-Aufseher in Płaszów hat als Frühsport auf dem KZ-Gelände wahllos Menschen erschossen, frei von jedem Respekt gegenüber dem „nicht-arischen“ Menschenleben. Ein Nazi war Josef Mengele, der Menschen unerträgliche Qualen zugefügt hat, nur weil sie „nicht arisch“ waren. Nazis waren Heinrich Himmler und seine Tochter, Gudrun Burwitz, die bis zu ihrem Tod stolz darauf gewesen war, dass ihr Vater mit der „Müllabfuhr des Reiches“ beauftragt gewesen war.
Ein unauffälliger Mensch, der die Probleme der Einwanderung sieht und benennt, eine Ehe mit einem gegengeschlechtlichen Partner führt, seine Kinder bedürfnisorientiert erzieht, pazifistisch eingestellt ist und deshalb Diplomatie statt Waffenlieferungen unterstützt und bereit ist, bei jeder Regierung näher hinzuschauen, auch bei der Israels, hat damit nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Deshalb ist diese hysterische Abstempelei für mich die größte Verharmlosung der Nazi-Verbrechen und die größte Respektlosigkeit gegenüber jenen, die damals ihr Leben lassen mussten, die ich aktuell sehen kann. – Elsa, brennessel Magazin