Mo. Okt 14th, 2024

Neuburg – Kürzlich habe ich mir die Sendung „Sternstunden“ des Schweizer Senders SRF angesehen. Der Psychiater und Philosoph Thomas Fuchs, der dort im Interview war, erzählte etwas, was mir meinen persönlichen Eindruck bestätigt hat: Dass wir in seiner erschöpften, ja depressiven und kranken Gesellschaft leben. Und es war auch nicht das erste Mal, dass ich Interviews und Vorträge zu diesem Thema gesehen habe.

Die Zahlen, die in der Sendung genannt werden, sind hoch: 25 – 30 % der Menschen unserer Gesellschaft haben psychische Störungen. Dazu gehören Angststörungen, Depressionen, bisweilen auch Alkohol- und Drogensucht. Ganz besonders stark betroffen scheinen junge Frauen unter 25 Jahren zu sein. Außerdem, was in dieser Sendung nicht extra besprochen worden ist, beginnen die psychischen Probleme sehr oft bereits im Kindesalter. Der Kinder- und Jugendpsychiater Sven Lienert sprach in einem Vortrag zum Beispiel davon, dass es „in der postmodernen Welt erhebliche Orientierungs- und Zugehörigkeitsprobleme“ bei Kindern gibt: „Wir erleben relativ häufig eine Haltlosigkeit, eine extreme Verunsicherung bei den Kindern, die wir in der therapeutischen Arbeit tagtäglich spüren.“ Depressionen unter Kindern und Jugendlichen haben in den 10 Jahren zwischen 2009 und 2019 um 97 % zugenommen. Therapieplätze sind knapp, die Wartelisten lang (Quelle: ARD Mittagsmagazin).

Finden Sie das auch so erschütternd wie ich? Die Ursachen, die in den Sternstunden genannt worden sind, waren unter anderem Erschöpfung durch zu viel Arbeit und Leistungsdruck, eine Entfremdung von den Mitmenschen wegen zu viel Social Media und zu wenig persönlichen Begegnungen und Bindungen, wobei insbesondere der Körperkontakt fehlt. Und ganz generell ein Ungleichgewicht zwischen dem natürlich Rhythmus des Lebendigen und den Anforderungen unseres am Wirtschaftswachstum orientierten Systems. Die Corona-Jahre haben die ohnehin schon seit Jahren hohen Zahlen nochmal stark in die Höhe getrieben, sowohl bei den Erwachsenen, als auch bei den Kindern.

Dieses Thema geht uns alle an und würde meiner Meinung nach ganz nach oben auf die Agenda der Innenpolitik gehören. Aber es fehlt einfach. Die Parteien, die heute als eher links und progressiv gelten (und von denen ich einst mal erwartet hätte, dass sie sich dieser Thematik annehmen), sind beschäftigt mit dem Gendern, LGBTQ-Themen und wollen die Gesellschaft lieber kriegstüchtig als psychisch gesund. Die andere Seite, das rechte und konservative Lager, kümmert sich lieber um sein Lieblingsthema, die Eindämmung und/oder Regulierung der Migration und sorgt sich viel mehr um das Wohl der deutschen Wirtschaft als um das seelische Wohlergehen des einzelnen Menschen.

Meine persönliche Prognose lautet: Viele aktuelle politische Entwicklungen und Pläne werden die Menschen noch kränker und depressiver machen. Wir wissen zum Beispiel, dass das Leben vieler Kinder viel zu durchgeplant ist und dass sie eigentlich mehr Freiheit und selbstbestimmte Spielzeit bräuchten, vor allem draußen inmitten der Lebendigkeit der Natur, wo sie sich austoben und entfalten können. Aber wir stehen kurz vor einem Anspruch auf Ganztagsschule für jedes Grundschulkind. Wir wissen auch, dass Arbeitnehmer gesünder sind, wenn sie weniger Wochenstunden arbeiten und mehr Zeit für ihr Privatleben haben. Aber die Idee einer 4-Tage-Woche wird von allen politischen Seiten zerschmettert und schlecht gemacht. Stattdessen fordert inzwischen sogar Robert Habeck mehr Arbeitsstunden, statt weniger – und wir erinnern uns, die Grünen hatten mal auf der Agenda stehen, sich für kürzere Arbeitszeiten einzusetzen. Und die FDP möchte – ganz in ihrem Element – Bürgergeldempfänger finanziell stärker abstrafen, wenn sie zumutbare Arbeit ablehnen. Zumutbar, das ist doch ein sehr dehnbarer Begriff…

Der Bevölkerung zuzumuten, dass sie sich selbst in Depressionen, Burnouts und Angststörungen verliert, damit hat die Politik aller Lager leider aktuell anscheinend überhaupt kein Problem. Vielleicht liegt das auch daran, dass viele Politiker womöglich selbst psychisch krank sind. Umso wichtiger, dass wir selbst auf uns selbst und aufeinander aufpassen und so oft es geht Menschlichkeit und Empathie walten lassen. – Elsa, brennessel Magazin

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