Di. Apr 23rd, 2024

Schulleiter am Descartes-Gymnasium in Neuburg

Vita: gebürtig aus dem ehemaligen Lkr. Ingolstadt (Stammham), wohnhaft in Ingolstadt, verheiratet, ein erwachsener Sohn. Nach dem Studium tätig am Dom-Gymnasium in Freising und am Christoph-Scheiner-Gymnasium in Ingolstadt, anschließend über 5 Jahre beim Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) in München, dort mitverantwortlich für die Geschichtslehrpläne (sind z.T. heute noch gültig). 6 Jahre lang stellvertretender Schulleiter am Reuchlin-Gymnasium in Ingolstadt und seit 97 Schulleiter am Descartes-Gymnasium in Neuburg.

Erzählen Sie uns zuerst etwas über den Namensgeber des Gymnasiums?

René Descartes, geb. 1596, war ein französischer Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler, der 1619 wahrscheinlich einige Zeit in Neuburg verbrachte. Sein berühmtes „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) ist die Grundlage methodischen Denkens, das nach Wahrheit in der Wissenschaft sucht. Mit der Erfindung der „kartesischen“ Koordinaten, welche die Umsetzung einer beliebigen geometrischen Kurve in einen algebraischen Ausdruck ermöglicht, ebnete Descartes der analytischen Geometrie den Weg.

Wie sehen Sie das Descartes-Gymnasium im Vergleich zu den anderen Schulen, an denen Sie vorher tätig waren?

Unsere Schule ist erheblich größer und somit organisatorisch etwas komplexer, zumal die verschiedenen Ausbildungsrichtungen und Sprachenfolgen gut koordiniert sein wollen. Pädagogisch kann man als Schulleiter an einer großen Schule leider nicht mehr so wirken, wie man gerne möchte, weil man nicht jeden einzelnen Schüler näher kennt.

Wie viele Schüler hat das Gymnasium zur Zeit?

1.320 Schüler. Das ist ein riesiger Sozialkörper, der nur funktionieren kann, wenn gewisse Regeln beachtet werden, was nicht alle immer sofort einsehen. Wichtige Erziehungsziele sind deshalb Rücksichtnahme und Akzeptanz, was wir unseren Schülern immer wieder klar zu machen versuchen.

Immer mehr Kinder wollen das Gymnasium besuchen. Einige Politiker fordern sogar, dass mindestens 40 % aller Schüler das Abitur machen sollen.

Das kann natürlich nicht nur über das Gymnasium erfolgen, sondern da werden andere Bildungswege notwendig sein. Es zeichnet sich auch ab, dass viele über die Real- und Fachoberschulen zu einem Fachabitur kommen; und mit einer reformierten Fachoberschule evtl. zu einer allgemeinen Hochschulreife. Gerade in den letzten Tagen geht vom Kultusministerium die Politik aus, dass man die Hauptschulen stärken und die dortige Erziehungsarbeit noch mehr in Richtung Berufsorientierung ausbauen will. Das ist der richtige Weg. Die Hauptschulen in Bayern werden also nicht abgeschafft, sondern sollten eine Schulart bleiben, in der etwa 30 – 40 % aller Kinder eine Ausbildung erhalten, die solide Voraussetzungen für eine berufliche Karriere beinhaltet. In Berufsoberschulen können dann auch sogenannte Spätstarter einen Weg zu einer Hochschule finden. Ein weiterer Teil der Schüler wird den Weg über die Real- und Fachoberschulen wählen. Wenn 30 % eines Jahrgangs an das Gymnasium wechseln, ist das eine gute Perspektive. Eine Übertrittsquote von 40% oder noch höher würde – so fürchte ich – zu einem Niveauverlust am Gymnasium führen, den wir eigentlich nicht wollen.

Welche Probleme haben Sie in Ihrer Schule?

Unser Hauptproblem sind momentan die beengten räumlichen Verhältnisse. Beim Umbau 1996 wurde unsere Schule für max. 1.100 Schüler ausgelegt. Jetzt haben wir 220 Schüler mehr! Mit einer Umbaumaßnahme, die hoffentlich im Jahr 2008 realisiert werden kann, soll das Schulraumangebot vergrößert werden. Im Lehrerzimmer hat nicht einmal jeder Kollege einen Sitzplatz. Das ist eine äußerst unglückliche Situation. Und man muss darüber nachdenken, ob ein Lehrer an der Schule nicht auch einen adäquaten Arbeitplatz haben sollte, weil durch die Ausweitung des Nachmittagsunterrichts am G8 immer mehr Kolleginnen und Kollegen nicht nur am Vormittag, sondern auch am Nachmittag anwesend sein müssen. Zwischendurch sind Phasen, wo sie Korrekturen durchführen oder ihren Unterricht vorbereiten könnten. Für diese Zwecke steht aber kein Arbeitsplatz zur Verfügung.

Wie viele Lehrer unterrichten hier?

Über 90 Lehrer! Wir haben eine relativ starke Fluktuation. Jedes Jahr bekommen wir 10 – 15 neue Lehrer. Ein Teil geht von Neuburg wieder weg, weil sie ihren Lebensmittelpunkt woanders haben.

Das Gymnasium wurde 1616 gegründet. Gibt es einige bekannte Persönlichkeiten, die daraus hervorgegangen sind?

Wir hatten „ganz spezielle“ Schüler in Neuburg und zwar waren das oft Leute, die aus weiter entfernten Gegenden kamen und nicht ganz einfach waren, wie z.B. Ludwig Thoma. Georg Queri ist um die Jahrhundertwende ein interessanter Sprachforscher gewesen. Auch er hat in bairischer Mundart geschrieben und ist an vielen Stellen angeeckt, nicht nur hier als Schüler, sondern auch später. Ludwig Ganghofer besuchte ebenfalls unser Gymnasium. Viele ehemalige Schüler haben später eine große Karriere gemacht. Darauf kann man schon ein bisschen stolz sein.

Wie sehen Sie die Perspektiven für die jungen Leute in der heutigen Zeit?

Ganz entscheidend ist, dass wir das Niveau am Gymnasium halten. Damit unsere Sozialsysteme auch künftig funktionsfähig bleiben, braucht man Leute, die Verantwortung übernehmen und Fachwissen haben – natürlich auch im technischen Bereich, denn die technischen Innovationen werden im Zusammenhang mit der Globalisierung zweifellos eine ganz entscheidende Rolle spielen. Aber auch auf die Sozialkompetenzen wird es ankommen, wenn wir unsere Zivilisation halten und weiter entwickeln wollen. Mit anderen Worten: Wir brauchen nicht nur Leute, die gut im Räderwerk unseres Systems funktionieren, sondern auch kritisch-kreative Köpfe, die unsere Gesellschaft und unsere Kultur weiterbringen.

Wie viele Schüler legen jedes Jahr die Reifeprüfung ab?

In den letzten Jahren waren es immer ca. 110 Schüler. Heuer werden es rund 80 sein und danach geht es wieder deutlich auf über 100. Nach der 10. Klasse gehen einige weg, aber das hält sich in Grenzen. Heuer haben wir allerdings etwas mehr Schüler gehabt, welche die Schule während des Schuljahres verlassen haben. Das ist auch kein so großes Problem, denn unser Schulsystem ist sehr durchlässig. Falls der Weg im Gymnasium nicht mehr weiterführt, versuchen wir gemeinsam mit den Eltern für jeden Schüler die für ihn richtige Schulart zu finden. Die Mehrzahl macht jedoch bis zum Abitur weiter, auch wenn manche eine Klasse wiederholen müssen.

Ist es heute schwieriger das Abitur zu machen als wie vor 20 Jahren?

Durch die Leistungskurse in den einzelnen Fächern sind die Ansprüche bei der Abiturprüfung schon sehr hoch, aber insgesamt gesehen sind sie nach meiner Beobachtung nicht gestiegen. Dennoch glaube ich, dass es für die Schüler schwerer geworden ist, weil die gebotene Ablenkung in der Freizeit dazu führt, dass sie sich nicht mehr so auf die Schule konzentrieren. Zeitweise habe ich den Eindruck, dass die Schule für manche nur Nebensache ist. Das geht natürlich nicht gut. Das Gymnasium bietet eine anspruchsvolle, vertiefte Allgemeinbildung, die man nicht so einfach nebenbei erwerben kann.

Fehlt es der jüngeren Generation am notwendigen Ernst der Sache?

In den ersten Jahren läuft es in der überwiegenden Mehrzahl ziemlich gut, denn die Schüler kommen hoch motiviert an die neue Schule. Die schwierigen Jahre kommen mit der Pubertät. Da merkt man, dass die Interessen nun ganz woanders liegen. Dann ist es besonders wichtig, dass Eltern und Schule zusammenwirken, um die jungen Leute einigermaßen „auf Kurs“ zu halten. In der Oberstufe, also ab der 11. Klasse, wissen die Schüler in der Regel dann, was sie wollen, und steigen meist sehr ernsthaft in die Kollegstufe ein – mit dem „Abitur“ als Ziel vor Augen.

Sie wollen noch einige Jahre als Schulleiter tätig sein. Sie werden aber nicht bis 67 arbeiten?

Das wäre im Lehrberuf äußerst problematisch. Mit 67 Jahren noch eine Mittelstufenklasse mit über 30 Pubertierenden zu unterrichten und sie zu motivieren, halte ich für sehr schwierig. Da darf man sich nichts vormachen: Für einen Lehrer im fortgeschrittenen Großvater-Alter ist ein guter Zugang zu dieser Alterstufe kaum noch zu finden. Man muss schon im Vollbesitz seiner Sinne und Kräfte sein, wenn man diese Herausforderung tagtäglich bestehen will. Denn viel Gnade kennen die Jugendlichen meist nicht.

Als Pensionär könnten Sie sich dann auch mehr Ihrem Hobby, dem Schreiben von Schulbüchern, widmen?

Das war wirklich eine reizvolle Aufgabe. Berufsbedingt habe ich mich gerne und sehr viel mit Geschichte beschäftigt und viele Quellen gesammelt. Die konnte ich gut nützen, um Schulbücher zu gestalten. Das ist eine gewisse Leidenschaft, der ich überwiegend in der knapp bemessenen Urlaubszeit und am Wochenende nachgehe. Wenn das Buch für die 10. Klasse des G8 fertig ist, werde ich diese Tätigkeit allerdings einstellen. Das habe ich mir zumindest fest vorgenommen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Privat: Dass mir meine Gesundheit erhalten bleibt und dass ich hin und wieder die Zeit finde, jene Dinge zu betreiben, die mich persönlich sehr interessieren. Das sind hauptsächlich kulturgeschichtliche Themen, die in der Schule keine so große Rolle spielen.
Beruflich wünsche ich mir, dass wir die Reform des Gymnasiums mit dem G8 gut voranbringen und dass alle Schüler des letzten Jahrgangs des G9 mit einem guten Abitur abschließen und sie an den Hochschulen unterkommen können. Denn es wird nicht einfach werden, wenn 2011 zwei Jahrgänge zusammen das Gymnasium verlassen.

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