Fr. Apr 19th, 2024

Tokio – Die 32. Olympischen Spiele sind Geschichte. Zehn Mal Gold, elf Mal Silber, 16 Mal Bronze – Team Deutschland sorgte in Tokio für zahlreiche Glücksmomente. Aber es gab auch Enttäuschungen und Skandale. Der Olympia-Rückblick.

Die Sommerspiele der XXXII. Olympiade sind am Sonntag in Tokio zu Ende gegangen. IOC-Präsident Thomas Bach sprach um 22.07 Uhr Ortszeit die traditionelle Schussformel. Zuvor hatte er am letzten der 16. Wettkampftage betont, „diese Spiele“, die wegen der Corona-Pandemie um ein Jahr verschoben worden waren und dennoch von ihr geprägt wurden, „haben zum richtigen Zeitpunkt stattgefunden“.

Team Deutschland zwischen Lust und Frust
Deutschlands Olympiateam zwischen Lust und Frust: Die Mannschaft des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) sorgte bei den Sommerspielen in Tokio für die schlechteste Medaillenausbeute seit der Wiedervereinigung. Ein Rückblick auf Medaillenjubel, bittere Pleiten und Eklats am Rande des Sports.

Die „goldenen Reiter“
In der Dressur glänzten Jessica von Bredow-Werndl & Co. im Einzel und im Team. Daneben ritt Julia Krajewski in der Vielseitigkeit endlich „ins Glück“. Dreimal Gold und einmal Silber sammelten die deutschen Reiter – die Konkurrenz muss sich auch in Zukunft warm anziehen. Das Dressur-Duell zwischen Olympiasiegerin Jessica von Bredow-Werndl und Isabell Werth nimmt gerade erst an Fahrt auf. Auch Krajewskis vierbeiniger Held Amande de B’Neville hat die besten Jahre noch vor sich.

Wiederauferstehung im Wildwasser-Kanal
Null Medaillen in Rio 2016, vier in Tokio 2021: Die Slalom-Kanuten haben wieder abgeliefert. Vier deutsche Medaillen in vier Wettkämpfen – die Bilanz ist makellos. Dazu einer der emotionalsten Momente der Spiele: Ricarda Funks Tränen um ihren in Rio tödlich verunglückten Trainer Stefan Henze und ihre vom Hochwasser gebeutelte Heimatregion im Ahrtal. Auch Andrea Herzog, Sideris Tasiadis und Hannes Aigner überzeugten bei ihren Bronzefahrten.

Der historische Tennis-Triumph
Tränen des Glücks vergoss Alexander Zverev schon vor dem goldenen Triumph. Mit einem Wahnsinns-Comeback zerstörte er im Halbfinale den Traum vom „Golden Slam“ des scheinbar unbezwingbaren Novak Đoković. Und holte sich zwei Tage später im Finale die Goldmedaille, die eigentlich für Đoković reserviert war. Olympiasieger im Männer-Einzel – das hat kein Deutscher vor ihm geschafft.

Die Tischtennis-Männer sorgen für Begeisterung
An der ganz großen Sensation schrammte Dimitrij Ovtcharov nur haarscharf vorbei, und dennoch: Was für eine Leistung. Im Halbfinale brachte er den Chinesen Ma Long an den Rand des Abgrunds, zum Trost gab es sein zweites Einzel-Bronze nach 2012. Auch im Team war Ovtcharov der Garant für den am Ende versilberten Finaleinzug. Mit seiner sechsten Olympia-Medaille schrieb er Geschichte, kein anderer Spieler hat dies erreicht.

Ende der Durststrecke im Schwimmen
Lange 33 Jahre mussten die deutschen Schwimmer auf den nächsten Olympiasieger seit Michael Groß warten – dann schrieb Florian Wellbrock in der Bucht von Tokio sein persönliches Sommermärchen. Als erster Deutscher überhaupt gewann er Gold im Freiwasser. Zuvor hatten Wellbrock und seine Verlobte Sarah Köhler mit jeweils Bronze schon die ersten Beckenmedaillen nach zwei Nullnummern in London und Rio gewonnen.

Weitspringerin Mihambo auf den Spuren von Drechsler
Malaika Mihambo glaubte immer an ihre Chance – und mit dem letzten Sprung landete sie im puren Glück. Erst im sechsten Versuch setzte sich die Weltmeisterin aufs oberste Treppchen und kürte sich zur ersten deutschen Weitsprung-Olympiasiegerin seit Heike Drechsler 2000 in Sydney. Bei ihrem Flug in den Olymp konnte sie es sich sogar leisten, 20 Zentimeter am Brett zu verschenken.

Rekordshow im Radsport
Mehr Dominanz geht nicht: Sage und schreibe drei Weltrekorde stellten die Frauen des deutschen Bahnrad-Vierers binnen 25 Stunden auf und rauschten zu Gold in der Mannschaftsverfolgung. Die Allgäuerin Lisa Brennauer, Franziska Brauße, Lisa Klein und Mieke Kröger sorgten damit für den ersten Olympiasieg eines deutschen Frauen-Teams in der Königsdisziplin des Bahnrad-Sports überhaupt.

Ringer wie in einer anderen Welt
Frank Stäbler, der bisher „Unvollendete“, machte mit Bronze doch noch seinen Frieden mit Olympia, Denis Kudla zog nach, doch für das ganz große Highlight sorgte Aline Rotter-Focken als erste deutsche Ringer-Olympiasiegerin. Nun will sie sich einen zweiten Traum erfüllen: „Ein langes, glückliches Leben führen und eine kleine Familie gründen.“

Ronald Rauhes glanzvoller Olympia-Abschied
Erst der Sieg mit dem Kajak-Vierer, dann die Ehre als Fahnenträger bei der Schlussfeier – Ronald Rauhe, in Tokio bei seinen sechsten Olympischen Spielen, eilte von einem Höhepunkt zum nächsten. Seine 16 WM-Titel sind ebenso Rekord wie die mehr als 60 Goldmedaillen bei deutschen Meisterschaften.

Moster, Raisner und der DOSB
Der unwürdige Tiefpunkt der Spiele aus deutscher Sicht: Radtrainer Patrick Moster spricht von „Kameltreibern“ und meint damit zwei afrikanische Radfahrer. Doch bis der DOSB reagiert und den Sportdirektor der deutschen Radfahrer aus Tokio abzieht, vergeht ein Tag. Man musste erst „gründlich nachdenken“ und sich zusammensetzen, wie es DOSB-Präsident Alfons Hörmann formulierte. Bei einem solch offensichtlichen Rassismus wäre rasches Handeln vorteilhafter gewesen.

Nicht minder unglücklich agierte der Verband im Fall von Fünfkampf-Trainerin Kim Raisner. „Hau drauf, hau richtig drauf!“, rief sie der hilflosen Annika Schleu auf dem nicht hörenden Pferd „Saint Boy“ zu, einen Faustschlag für das Tier gab’s noch dazu. Der DOSB reagierte diesmal etwas schneller, zog Raisner vom Männerwettkampf ab, bevor diese dann sogar von Olympia suspendiert wurde.

Doch die anschließenden Erklärungsversuche wirkten ähnlich halbherzig wie im Fall Moster. Kritik gab’s am Fünfkampf-Weltverband, das Verhalten im eigenen Team wurde kleingeredet.

Simon Geschkes nutzlose Reise
Das Wort „Flop“ ist die passende Umschreibung für Simon Geschkes Tokio-Reise. Statt im Straßenrennen am Mount Fuji zu brillieren, musste der Radprofi nach seinem positiven Corona-Test die kahlen Wände seines engen Quarantäne-Zimmers anstarren – als „Zeitverschwendung“ bezeichnete Geschke seine sinnloseste Dienstreise überhaupt. Nach zwei negativen Tests durfte er die Quarantäne nach acht Tagen vorzeitig verlassen und die Heimreise antreten.

Fußball-Resterampe und enttäuschende Teams
Deutschlands Fußballer gaben in Tokio ein trauriges Bild ab, was aber nicht nur am vorzeitigen Aus lag. Dass es einem DFB-Trainer aufgrund mangelnder Unterstützung der Klubs und Egoismus von Spielern nicht gelingt, einen Olympia-Kader mit 22 Spielern vollzukriegen, ist ein absolutes Armutszeugnis.

Doch auch in den Teamsportarten, wo Deutschland in Bestbesetzung antreten konnte, lief eigentlich alles schief. Einst Medaillengaranten, blieben die Mannschaftssportler erstmals seit Atlanta 1996 ohne Edelmetall. Am nächsten dran waren noch die Hockey-Männer, die das Spiel um Bronze verloren. Für Handballer, Beach-Teams, Basketballer, Fußballer und die Hockey-Frauen war spätestens im Viertelfinale Schluss.

Ruder-Weltmeister Zeidler zeigt Nerven
Wie tief die Trauer bei Oliver Zeidler saß, offenbarte sich der Öffentlichkeit erst mit einem Tag Verspätung. Das 2,03 Meter große und 103 Kilogramm schwere „Kraftpaket“ hatte selbstbewusst Gold im Ruder-Einer angekündigt, ein Finale gewann er in Tokio auch – leider das falsche. Der Weltmeister zeigte im Halbfinale Nerven, am Ende blieben nur der Sieg im B-Endlauf und jede Menge Tränen und Wut auf sich selbst.

Vorbeigeschossen – keine Medaillen am Schießstand
Fünf Finals, keine Medaille für die deutschen Sportschützen um Rio-Olympiasieger Christian Reitz. „Es ist schon eher ein schlechtes Abschneiden“, sagte Sportdirektor Heiner Gabelmann eher untertreibend. Zuletzt hatte es 2012 in London kein Edelmetall gegeben. Vom herausragenden Abschneiden in Rio (dreimal Gold, einmal Silber) waren die Pistolen-, Gewehr- und Flintenschützen in Japan meilenweit entfernt.

Die Verzweiflung des Speerwurf-Favoriten
„Zum Kotzen!“ Kurz und knapp fasste Johannes Vetter die Gesamtsituation zusammen. Sein eigenes Gefühlschaos, die verpasste Medaille, die riesige Enttäuschung, als großer Favorit im Speerwurf nicht mal das Finale der besten Acht erreicht zu haben. Es sollte der Ort seines großen Triumphs werden, stattdessen rutschte Vetter aus. Weil der 28-Jährige überhaupt nicht mit dem Anlaufbelag zurechtkam, reichte es für den Sportler aus Offenburg mit schwachen 82,52 Metern nur zu Platz neun. – BR

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