München – Wie kann die dritte Corona-Welle gestoppt werden? Immer mehr Spitzenpolitiker fordern, rasch einen härteren Lockdown zu verhängen. Ob die nächsten Bund-Länder-Beratungen vorgezogen werden, ist aber noch unklar.
Angesichts der steigenden Corona-Infektionszahlen und wachsenden Belastung der Intensivstationen steuern Bund und Länder offenbar auf einen neuen, härteren Lockdown zu. Nach mehreren Spitzenpolitikern, Medizinern und Wissenschaftlern sprach sich am Montag auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet dafür aus. Der CDU-Chef forderte einen schnellstmöglichen „Brücken-Lockdown“, bis „das Impfen in großer Breite wirkt“. Notwendig sei deshalb ein Vorziehen des nächsten Bund-Länder-Spitzengesprächs auf diese Woche.
Kontakte im privaten Bereich müssten weiter verringert werden, möglicherweise auch durch Ausgangsbeschränkungen in den Abend- und Nachtstunden, betonte Laschet beim Besuch eines Impfzentrums in Aachen. Zudem müsse man sich „fokussieren auf das Notwendige bei Kitas und Schulen“ und „wir müssen mehr machen beim Homeoffice“. Lockerungen etwa bei der Gastronomie schloss Laschet vorerst aus. Es gebe eine „Ausnahmesituation“, in der schnelles Handeln notwendig sei, begründete er den Wunsch nach einer Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) noch in dieser Woche.
Wird der nächste Corona-Gipfel vorgezogen?
Ob der bislang für den 12. April vorgesehene Corona-Gipfel tatsächlich vorgezogen wird, ist noch unklar. Der Bund sei immer bereit, zu beraten, wenn es sich als erforderlich erweise, hieß es am Montag aus Regierungskreisen in Berlin. Die MPK mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse aber gut vorbereitet sein, so dass bereits vorher im Wesentlichen klar sei, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten. Eine schnell anberaumte MPK mit völlig unterschiedlichen Vorstellungen zwischen den Ländern dürfe es nicht noch einmal geben, hieß es weiter.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) zeigte sich skeptisch: Laschets Vorstoß werfe viele Fragen auf, sagte er dem ARD-Hauptstadtstudio: „Ein Brücken-Lockdown für eine Übergangszeit und dann mit welchen Maßnahmen? Und das soll so lange gelten, bis viele Menschen geimpft sind. Was heißt das alles?“ Er glaube, da seien viele Überlegungen bei Laschet noch nicht abgeschlossen, sagte Müller. „Und insofern, glaube ich, macht es auch keinen Sinn, jetzt vorfristig zu einer Ministerpräsidentenkonferenz zusammenzukommen.“
Intensivmediziner: „Lage sehr dramatisch“
Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Gernot Marx, schlägt indes Alarm. Bei dem Termin mit Laschet in Aachen sagte er: „Die Lage ist sehr dramatisch, das Infektionsgeschehen muss eingedämmt werden.“ Laut Divi-Intensivregister stieg die Zahl der Corona-Intensivpatientinnen und -patienten bis Montag auf 4.144. Bald dürften es 5.000 oder mehr werden, warnte Marx.
Zu der diskutierten Stärkung von Kompetenzen des Bundes beim Infektionsschutz äußerte sich Laschet grundsätzlich positiv, in der aktuellen Lage sei aber eine Entscheidung durch die Ministerpräsidentenkonferenz der schnellere Weg. Eine Bündelung von Kompetenzen beim Bund hatte Merkel vor gut einer Woche in der ARD-Sendung „Anne Will“ aus Unzufriedenheit über den Corona-Kurs einiger Bundesländer ins Gespräch gebracht.
„Es gibt die große Sehnsucht in der Bevölkerung nach einheitlichen Regeln“, sagte dazu über Ostern auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) der „Welt am Sonntag“. Er wies darauf hin, ein neues Bundesgesetz könne innerhalb weniger Tage verabschiedet werden.
Auch Söder für konsequenten Lockdown
Für eine vorübergehende Verschärfung der Corona-Regeln sprach sich auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) aus. „Wir sollten überlegen, ob ein erneuter kurzer, aber dafür konsequenter Lockdown nicht der bessere Weg wäre, als ein halbherziges und dafür endloses Corona-Konzept“, sagte er der „Bild am Sonntag“.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mahnte, auch bei steigender Impfquote gebe es vorerst keinen Grund für Lockerungen: „Die dritte Welle wächst.“ SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte, die Abstände zwischen erster und zweiter Impfung zu verlängern, um bis Juli über 60 Millionen Menschen in Deutschland impfen zu können.
Einen „radikalen Wellenbrecher“ verlangte in der „Welt“ (Dienstagsausgabe) Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Sie verwies besonders auf den Arbeitsbereich. Es sei schwer nachvollziehbar, wenn man abends Kontakte mit Freunden hart einschränke, aber tagsüber in Großraumbüros zusammenarbeiten müsse.
Sieben-Tage-Inzidenz bundesweit bei 128,0
Inwieweit sich die Infektionslage über Ostern verändert hat, ist derzeit noch schwer einzuschätzen. Das Robert Koch-Institut wies darauf hin, dass rund um die Osterfeiertage vielerorts meist weniger Tests gemacht und gemeldet werden. Zudem könne es sein, dass nicht alle Gesundheitsämter und zuständigen Landesbehörden an allen Tagen an das RKI übermitteln. Die berichteten Fallzahlen dürften dadurch niedriger ausfallen und nur eine eingeschränkte Aussagekraft haben.
Das ist auch bei der Interpretation der Sieben-Tage-Inzidenz – also der Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche – zu beachten, die das RKI am Ostermontag mit 128,0 angab. Am Vortag lag sie bei 127,0, am Gründonnerstag noch bei 134,2. Vor drei Wochen gab das RKI den Wert mit 82,9 an. – BR