Sa. Apr 20th, 2024

„Das geht so nicht“: Breites Echo auf den geplatzten Besuch von Bundespräsident Steinmeier in Kiew. Nachdem die ukrainische Regierung Steinmeier de facto ausgeladen hatte, kritisieren deutsche Politiker dieses Vorgehen parteiübergreifend.

Die ukrainische Ablehnung eines Besuchs von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Kiew hat in der deutschen Politik Kritik und zugleich Besorgnis ausgelöst. Politiker aller drei Regierungsparteien und der Union kritisierten das Vorgehen der ukrainischen Regierung. Die ukrainische Führung hatte am Dienstag einen Besuch Steinmeiers abgelehnt, der gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Polen und den drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen nach Kiew reisen wollte. Diese brachen am Mittwoch ohne Steinmeier in die Ukraine auf.

Ampel-Parteien kritisieren Ukraine einhellig
Es gehe „ja nicht um die Person Frank-Walter Steinmeier, es geht um unseren Bundespräsidenten“, sagte SPD-Außenpolitiker Michael Roth dem Sender RBB. Deutschland sei „einer der engsten Verbündeten der Ukraine“ und „deswegen halte ich das für nicht angemessen“. Er hoffe, dass es „keine weiteren Abkühlungen“ gebe, sagte der Vorsitzende des Außenausschusses des Bundestags. Politik und Bevölkerung stünden hinter der Ukraine.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich bezeichnete die Entscheidung der ukrainischen Regierung als „bedauerlich“. Sie werde den deutsch-ukrainischen Beziehungen „nicht gerecht“, erklärte er. „Gleichwohl werden wir darauf achten, dass dieser Vorgang unsere Zusammenarbeit nicht gefährden wird“, so Mützenich.

Jürgen Trittin: Ausladung ist Propagandaerfolg für Putin
Der FDP-Außenpolitikexperte Alexander Graf Lambsdorff sprach von einer „sehr unglücklichen Entscheidung“ der Kiewer Führung. Diese habe einen „Fehler“ gemacht, sagte er dem Sender Welt. „Da wieder rauszukommen, das wird schwierig.“

Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Jürgen Trittin, fordert die Ukraine auf, die Absage zurückzunehmen. „Das geht so nicht“, sagt Trittin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „Das deutsche Staatsoberhaupt, das zudem gerade erst wiedergewählt worden ist, zur unerwünschten Person zu erklären, ist ein großer Propagandaerfolg für Wladimir Putin.“ Wenn man die Europäer spalten wolle, dann müsse man es so machen wie der ukrainische Präsident. „Wir erwarten, dass die Ukraine das zurücknimmt.“

Ukraine lädt Scholz statt Steinmeier zu Besuch ein
Die Ukraine hatte nach dem verhinderten Steinmeier-Besuch stattdessen eine Einladung an Bundeskanzler Olaf Scholz ausgesprochen. „Unser Präsident erwartet den Bundeskanzler, damit er unmittelbar praktische Entscheidungen treffen könnte, auch inklusive die Lieferung der Waffen“, sagte der ukrainische Präsidentenberater Olexeij Arestowytsch am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin laut Übersetzung.

Das Schicksal der Stadt Mariupol und anderer Orte hänge von der Lieferung deutscher Waffen ab. Arestowytsch bat außerdem um Verständnis für die Absage. Er kenne die Gründe nicht, doch die Politik und die Entscheidungen von Selenskyj seien sehr ausgewogen, sagte er.

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki schließt eine Fahrt von Kanzler Scholz nach Kiew vorerst aus. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Kanzler einer von der FDP mitgetragenen Regierung in ein Land reist, das das Staatsoberhaupt unseres Landes zur unerwünschten Person erklärt“, sagte Kubicki der Deutschen Presse-Agentur.

Union fordert Anruf von Scholz bei Selenskyj
Der Unions-Außenpolitikexperte Jürgen Hardt (CDU) sprach von einer „schweren Belastung“ und forderte einen sofortigen Anruf von Kanzler Olaf Scholz (SPD) beim ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj noch am Mittwoch. Scholz solle mit Selenskyj „die Dinge besprechen, auch alle Beschwernisse auf beiden Seiten auf den Tisch legen“, sagte der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im ARD-Morgenmagazin.

Auch der frühere Box-Weltmeister Wladimir Klitschko bedauerte die Absage an Steinmeier und setzt auf eine spätere Reise des Bundespräsidenten. „Ich hoffe, dass der Besuch des Bundespräsidenten in Kiew nur aufgeschoben ist und in den kommenden Wochen nachgeholt werden kann“, sagte der Bruder des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko der Bild-Zeitung.

„Ich halte es für dringend erforderlich, dass wir als Ukraine weiterhin Brücken nach Deutschland bauen“, betonte Klitschko. „Deutschland ist Partner Nummer eins bei der finanziellen Hilfe für die Ukraine, leistet humanitäre Unterstützung, hilft massiv Flüchtlingen und schickt immer mehr Waffen, auch wenn wir davon mehr brauchen“, fügte er hinzu.

Steinmeier wird wegen Russland-Politik der Vergangenheit kritisiert
Die Entscheidung der Ukraine gilt als ungewöhnlicher diplomatischer Affront und als klares Anzeichen dafür, wie tief die Unzufriedenheit mit der deutschen Politik in der Ukraine ist.

Steinmeier hatte in seinen früheren Ämtern als Kanzleramtschef und Außenminister eine russlandfreundliche Politik verfolgt und auch das umstrittene Projekt der Gaspipeline Nord Stream 2 unterstützt. Vor einer Woche räumte er dann Fehler seiner Politik ein und erklärte, dass er sich in dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getäuscht habe. – BR, Mit Agenturmaterial.

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