Fr. Apr 19th, 2024

Vor genau hundert Jahren
„Gott allein könnte dieses Schiff versenken“, hieß es, als die Titanic in See stach – er tat es. In der Nacht vom 14. auf 15.April 1912 stieß der Luxusliner der White Star Line auf dem Weg von Southampton nach New York auf einen Eisberg und sank.

Es war die Jungfernfahrt des überheblich nach dem mythischen Göttergeschlecht der Titanen benannten Prunkschiffes, das sowohl arme Auswanderer befördern als auch Milliardäre verwöhnen sollte. 1490 der insgesamt 2201 sich an Bord befindlichen Personen fanden bei dieser Schiffskatastrophe den Tod, die wenigsten von ihnen durch Ertrinken. Ein Großteil erfror in dem schwarzen Eiswasser des Atlantiks.

Hätte die Schiffskatastrophe, die legendär geworden ist, vermieden werden können? Vielleicht, wenn man den 269 Meter langen, 28 Meter breiten, 53 Meter hohen und 46.329 Bruttoregistertonnen schweren Ozeanriesen mit ausreichend Rettungsbooten ausgerüstet hätte. Oder zumindest mit einem Fernglas. Denn so unglaublich es klingt, der Matrose, der in dieser sternklaren Nacht auf seinem kalten Krähennest Ausschau hielt, musste das Meer mit bloßem Auge absuchen. Ein Fernglas fehlte auf dem mit einem türkischen Bad, einem beheizten Schwimmbad, drei Fahrstühlen, einer Squashanlage und vergoldeten Salons ausgestatteten Palast auf hoher See.

Die Aufgabe wurde noch dadurch erschwert, dass das Meer spiegelglatt war, Treibeis sich also auch nicht durch das Brechen von Wellen vorankündigte. Daher war es für ein gelungenes Ausweichmanöver zu spät als sein Warnruf auf die Kommandobrücke drang. Der unterirdische Teil des Eisbergs schlitzte den Schiffsboden des Dampfers über eine Länge von 90 Metern auf. Zu Spüren war von dieser Katastrophe an Bord des Schiffes nur wenig. Einige Passagiere hatten das Gefühl, als sei das Schiff sanft über Murmeln geglitten oder als habe eine der drei mächtigen Schiffsschrauben gestockt.

„Schotten dicht“, befiehlt Kapitän Smith, der zu diesem Zeitpunkt nicht ahnt, dass sein Schiff tödlich getroffen ist. An Bord verspürt niemand den geringsten Grund zur Beunruhigung. Man hört weiter den Klängen des Schiffsorchesters zu, das mit Tanzmusik unterhält. Einer unverwüstlichen Anekdote nach, sollen ein paar Passagiere sogar einige der an auf Deck gelandete Eisstückchen in ihre Drinks geworfen haben. Es ist jetzt kurz nach Mitternacht. Vor rund zwanzig Minuten ist das Schiff mit dem Eisberg kollidiert, in weiteren 140 Minuten wird es auf dem Meeresboden aufschlagen.

Um 0.15 Uhr gibt der Kapitän Anweisung, nach Hilfe zu funken. Doch das nächste Schiff, das alle Menschen hätte retten können, hört den Notruf nicht. Es ist der amerikanische Frachter Californian, dessen Funker schläft. Die Notraketen, welche die Titanic später abschießt werden dort zwar gesichtet, jedoch da sie weiß und nicht wie üblich rot sind, für Sternschnuppen gehalten. Das einzig näher gelegene Schiff, das erreicht werden kann ist die Carpathia. Doch sie trifft erst gegen 4.20 Uhr, also rund zwei Stunden nach dem Untergang auf der Unglücksstelle ein und kann nur doch die Überlebenden in den Rettungsbooten aus dem Meer fischen.

Gegen 0.25 Uhr kommt langsam Bewegung in die mittlerweile an Deck gerufenen Passagiere. Die ersten der viel zu wenigen Rettungsboote werden zu Wasser gelassen. Anfänglich finden sich nur zögerlich Freiwillige, die den hell erleuchteten warmen Luxusdampfer gegen eine kleine, wacklige Nussschale eintauschen wollen. Was die fatale Folge hat, dass einige Boote unterbesetzt bleiben. Doch selbst als langsam klar wird, dass das Bootsmanöver kein Spaß ist, herrscht weiterhin Disziplin an Bord.

„Frauen und Kinder zuerst“, das ist der eiserne Grundsatz eines ritterlichen Zeitalters, das gemeinsam mit dem Ozeandampfer untergegangen zu sein scheint. Dabei werden keine Klassenunterschiede gemacht. Als der damals reichste Mann der Welt, John Jacob Astor, höflich anfragt, ob er seine Frau ins Rettungsboot begleiten dürfe, da sie ein Kind erwarte, wird er abgelehnt. Bei der Rettung bevorzugt wurden die begüterten Passagiere nur insoweit, als der Kapitän sie persönlich weckte.

Außerdem hatten sie den Vorteil, in den höheren Etagen untergebracht zu sein, die näher am Bootsdeck waren als die Unterkünfte der Auswanderer im Bauch des Schiffes. Genutzt hat es ihnen nicht immer etwas. Von den 175 männlichen Passagieren der 1.Klasse kamen 118 um. Die meisten von ihnen traten klaglos zurück, um Frauen und Kindern den Vortritt zu lassen. Noblesse oblige. Von dem exzentrischen Milliardär Benjamin Guggenheim wird sogar berichtet, er habe – extra zu Ehren des Untergangs – seinen besten Smoking angelegt.

Wahre Helden sind jedoch auch die Maschinisten und Heizer, die buchstäblich bis zum Ende für Strom und damit Licht auf der sinkenden Titanic sorgen, nicht zu vergessen die acht Musiker der Bordkapelle, die zur Vermeidung von Panik bis zum letzten Atemzug aufspielen – ihren eigenen Totentanz, denn keiner von ihnen wird überleben. Ob ihr letztes Lied nun der Choral „Näher mein Gott zu Dir“ oder ein Walzer aus dem Sportpalast zum Mitpfeifen war, spielt dabei eigentlich keine Rolle. Todesmut haben sie so oder so bewiesen.

Um 2.20 Uhr schließlich gehen die Lichter aus. Die ungleiche Verteilung der eindringenden Wassermengen im Unterdeck sorgt dafür, dass sich das Heckteil der Titanic steil aufrichtet und schließlich in den Fluten versinkt. Für Kapitän Smith, der vor seiner Pensionierung steht und mit der Jungfernfahrt der Titanic seine letzte Fahrt antreten wollte, wird es die allerletzte Fahrt. Er bleibt selbstverständlich bis zuletzt an Bord und geht mit seinem Schiff unter. Auch dies eine Haltung, die sich deutlich von unserer Gegenwart unterscheidet.

Unzählige Literatur und Verfilmungen haben sich mit der Titanic beschäftigt. Zuletzt spielte die von James Cameron bombastisch in Szene gesetzte Liebesgeschichte von Rose und Jack Millionen ein. Zu den etwas in Vergessenheit geratenen Rätseln, die sich um den Untergang der Titanic ranken, gehört auch, dass der englische Autor Morgan Robertson in seinem 1898 verfassten Science-fiction Roman „The Wreck of the Titan“, den Untergang der Titanic mit erstaunlicher Präzision vorhergesehen hat.

Auch bei ihm läuft in einer kalten Aprilnacht ein stolzer Luxusdampfer auf einen Eisberg und 2500 Passagiere ertrinken, da zu wenige Rettungsboote an Bord sind. Eine unheimliche Vorwegnahme der 14 Jahre später eintretenden Katastrophe. Zufall? Das zweite Gesicht? Wir wissen es nicht. Eines jedoch können wir mit Gewissheit sagen. Nämlich dass das Schicksal der Titanic, das einem Menetekel im Weltentheater gleicht, uns immer in seinen Bann ziehen wird.

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