Do. Mrz 28th, 2024

Neuburg – Am 09.02.2023 fand im Bundestag die „Aktuelle Stunde“ zum Thema „Drohender Kollaps des Systems Kita“ statt. Es mangelt in Kindertagesstätten an Fachkräften. Die, die da sind, sind zu wenige und deshalb im Stress. Sie werden krank (oft Burn-out), fallen aus, und dann gibt es einen noch größeren Mangel und einen noch größeren Stress für die verbliebenen Erzieher. Das schadet ihnen selbst wie natürlich auch den Kindern, deren Bedürfnisse nach individueller Zuwendung so nicht erfüllt werden können.

Klingt nach einem schweren Missstand, der dringenden Handlungsbedarf erfordert, oder? Von unseren 736 Bundestagsabgeordneten waren bei dieser Veranstaltung vielleicht ein Zehntel dabei. Da saß fast niemand. Und die Hälfte von denen, die anwesend waren, scrollten gelangweilt durch ihre Smartphones. Die Bundesfamilienministerin kam erst irgendwann im Laufe der Sitzung dazu.

Die Reden waren bis auf ganz wenige einzelne Aussagen unterirdisch schlecht. Es gab Schuldzuweisungen an die anderen Parteien, Selbstbeweihräucherung (Wir haben das Recht für alle Kinder ab 1 Jahr auf einen Kitaplatz geschaffen! Wir haben so viele Kitaplätze geschaffen! Das haben wir so gut gemacht!), und ganz viele Bekenntnisse zur frühkindlichen Fremdbetreuung: Wir brauchen mehr Plätze und längere Öffnungszeiten!

Aber Lösungsansätze des Problems? Fehlanzeige! Das Bisschen, was Richtung Lösungsansatz ging, war schlecht und überhaupt nicht am Familien- oder gar Kindeswohl orientiert. Zum Beispiel: Ausbildungszeiten der Fachkräfte verkürzen und ausländische Abschlüsse schneller anerkennen. Oder: Ausländer raus, Problem gelöst! (Frau von Storch)

Das System an sich tastete niemand an. Es gab keine Reflexion darüber, was die Ursachen für die Probleme sind und ob das „System Kita“ wirklich den Kindern zugutekommt.

Etwa seit den frühen 2000ern hat sich die Gesellschaft Deutschlands, angetrieben von Akteuren aus der Wirtschaft und gefördert von der Politik, allmählich dazu entschieden, dass das in Westdeutschland lange Zeit praktizierte Prinzip, dass Kinder zwischen drei und sechs Jahren die Vormittagsstunden in einem Kindergarten verbringen, ausgedient hat. Kinder sollen, das ist politisch erwünscht, nun spätestens mit einem Jahr in Betreuung und auch gerne bis 16:00 Uhr oder noch länger. So, wie das in der DDR und in den meisten anderen sowjetischen Staaten der Standard war.
Zu dieser Zeit, eben in den ersten 2000er Jahren, haben Menschen, die Wirtschaftsinteressen vertraten, sich in die Familienpolitik einzumischen begonnen und nicht von „Kindern“ und „Eltern“ gesprochen, sondern von „Humankapital“ (Bert Rürup, 2005). Schleichend hat sich so die Familienpolitik zur Untersparte der Wirtschaftspolitik entwickelt. Vorbei ist die Zeit, als familienpolitische Maßnahmen zum Beispiel die Anerkennung von Erziehungsjahren für die Rentenversicherung waren (so geschehen in der Amtszeit der CDU-Familienministerin Süssmuth 1985 – 1988). Familienpolitik heißt heute: Betreuungsplätze schaffen! Eltern die Vollzeitberufstätigkeit ermöglichen!

Für mich war diese Bundestagsveranstaltung nur erträglich, weil ich sie mir kommentiert von dem Pädagogen und Bildungsaktivisten Andreas Ebenhöh, der den YouTube Kanal „Kitahelden“ betreibt, angehört habe. Er hat seinem Ärger über die Politik Luft gemacht und die entscheidenden Fragen gestellt. So etwas wie: Wie kann man den Beruf des Erziehers auch für Männer attraktiver gestalten? Wie wäre es mit kürzeren Arbeitszeiten für Kitafachkräfte, zum Beispiel einer 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich? Wollen Eltern ihre Kinder überhaupt ab dem Kleinkindalter den ganzen Tag in einer Kita abgeben, um möglichst lange arbeiten zu „dürfen“? War der Rechtsanspruch für jedes Kind ab 1 Jahr auf einen Kitaplatz womöglich sogar mit der Auslöser für die heutige Krise? Könnten politische Lösungen, die eher auf Familienhilfe abzielen, vielleicht eher zur Problemlösung beitragen als die Forderungen nach immer mehr Betreuungsplätzen, längeren Öffnungszeiten und mehr Berufstätigkeit für junge Eltern?

Viele Pädagogen, Psychologen, Hirnforscher und vielen andere stellen die richtigen Fragen. Die Ansätze zur Verbesserung der Kita-Situation liegen auf dem Tisch. Aber nicht in der Politik. Die ist für wirklich familienfreundliche Konzepte und eine ernsthaft kinderfreundliche Gesellschaft blind und taub. Die Wirtschaft ist das, was zählt.

Kennt eigentlich noch jemand die Erklärung der Rechte des Kindes der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1959? Sie besagt: „Ein Kleinkind darf – außer in außergewöhnlichen Umständen – nicht von seiner Mutter getrennt werden.“ – Elsa, brennessel

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